Großväter des Deutschrock
Heino, Heintje, Karel Gott: Nur Schlagersänger trällerten
bis Ende der sechziger Jahre auf deutsch - wer rockte, textete englisch.
Dann startete eine heute vergessene Band mit schlauen Texten und sattem
Bluesrock eine Revolution: "Ihre Kinder" brachten Udo Lindenberg
deutsch bei. Von Edgar Klüsener
Sie spielten akustischem Folk und satten Blues, orientalisch angehauchten
Psycho-Pop und hammerharten Rock - kurzum: Musikalisch unterschied sich
die Band mit dem seltsam klingenden namen "Ihre Kinder" kaum
von anderen deutschen Rockbands der späten sechziger Jahre.
Und trotzdem waren sie der Beginn einer Revolution.
Denn "Ihre Kinder" war eine Band, die ausnahmslos auf Deutsch
sang - und das lange vor Udo Lindenberg. Noch Anfang der siebziger Jahre
war die deutsche Sprache in der Rockmusik ein Sakrileg. Angloamerikanisches
Idiom war cool, Deutsch dagegen diskreditiert als Zungenschlag der weltflüchtigen
Musikantenstadl-Jodler und seicht-rosafarbener Schlagerromantik. Wer
als deutscher Rocker etwas auf sich hielt, sang englisch - selbst wenn
er mit seiner Kapelle nie aus dem Dunstkreis der Jugendheime und Schützenfeste
herauskam.
Bluesband mit Beatlyrik
Trotzdem blieben die Deutschrockpioniere nicht lange allein. Etwa zeitgleich
fing die Kölner Studentenband und Kabarettgruppe Floh de Cologne
an, auf Deutsch zu rocken. Etwas später stieß dann Rio Reisers
Band Ton Steine Scherben zu dem exklusiven Club. Von beiden unterschieden
sich "Ihre Kinder" jedoch erheblich. Denn die Band hatte so
wenig mit dem plumpen Agitprop von Floh de Cologne am Hut wie mit den
holzschnittartigen Versen der frühen Ton Steine Scherben. Stattdessen
setzte die Nürnberger Band auf poetische Texte, eine Art psychedelischer
deutscher Beatlyrik, konnten aber auch sehr eindeutig und präzise
sein, wenn sie politische Themen aufgriffen.
Ihre Musik kam an. 1970 wählten die Leser der Zeitschrift "Musikexpress"
die Gruppe zur besten deutschen Bluesband. Spätestens da war die
Band dann selbst Obersekundanern aus den Malochervororten ein Begriff.
obwohl die ansonsten eher auf Jimi Hendrix, Velvet Underground, die
Rolling Stones, The Doors oder The Stooges standen. Denn deutsch zu
singen, schien extrem provinziell. Die Helden der Jugend kamen aus London,
Liverpool, Los Angeles, San Francisco, Seattle, Detroit oder New York.
Aber doch nicht aus Nürnberg.
Nürnberg war aber auch die Stadt von Photo-Porst. In den Sechzigern
stand Hannsheinz Porst an der Spitze des Familienunternehmens. Er war
eine schillernde Figur, ein Kommunist im Kapitalistenpelz, der tat,
was in der Wirtschaftswunderwelt Nachkriegsdeutschlands unerhört
erschien: Er schenkte die Firma den Mitarbeitern, machte aus dem marktführenden
Foto-Discounter eine Mitarbeitergesellschaft. So etwas ließ einen
Porst natürlich suspekt erscheinen, vor allem, wenn er zudem unverhohlene
Sympathien für die angeblich realen Paradiese der Parteibonzen
und Werktätigen von Ostberlin bis Moskau hegte.
Wer wollte schon Texte auf Deutsch hören?
Deswegen bezeichnete die bundesdeutsche Presse Hannsheinz Porst auch
gern - je nach Couleur - als Verrückten, als Spion, ideologischen
Brandstifter, Spinner oder als gemeingefährlichen Vaterlandsverräter.
Doch um Hannsheinz gehts hier ja gar nicht, vielmehr um seinen
Sohn Jonas. Der nämlich spielte den Impressario und steckte Vaters
Knete in ein Tonstudio, das zur bedeutenden Keimzelle der bundesdeutschen
Rockkultur werden sollte - und er steckte es in die Band "Ihre
Kinder".
Das erste Album der Gruppe, finanziert und produziert von Jonas Porst,
wurde von deutschen Plattenfirmen zunächst mal als viel zu unkommerziell
abgelehnt. Rockmusik, das war die vorherrschende Meinung in der Tonträgerbranche,
konnten Engländer und Amerikaner viel besser. Wer wollte schon
deutsche Texte hören? Wo doch nicht einmal die international erfolgreiche
deutsche Kraut-Avantgarde von Amon Düül II bis hin zu Can
auf die schwer vorbelastete Muttersprache setzte und stattdessen lieber
angelsächselte.
Am Ende bewies dann doch eine Plattenfirma Mut. Philips brachte das
Album heraus, allerdings so halbherzig, dass es beinahe sang- und klanglos
unterging. Immerhin: Hermann Zentgraf, der zuständige Mann bei
Philips, brachte die Gruppe anschließend bei dem Münchener
Independent-Label Kuckuck unter und ebnete ihr damit den weiteren Weg
im Wirtschaftswunderland.
Krautrock von Kuckuck
Kuckuck ist schon fast wieder eine Geschichte für sich. Das allererste
deutsche Independent-Label war am 1. April 1968 vom Münchener Musikverleger
Eckart Rahn gegründet worden und sollte sich in den folgenden Jahren
zu einer der wichtigsten Adressen im deutschen Musikuntergrund entwickeln.
Zum kleinen, aber exquisiten Kuckuck-Repertoire gehörten Krautrockpioniere
und Avantgardisten wie Deuter oder Out Of Focus ebenso wie die Heavy-Rocker
Armaggeddon und der österreichisch-kanadische Folksänger Jack
Grunsky. Und eben "Ihre Kinder", deren weitere Geschichte
mit der des Kuckuck-Labels eng verbunden bleiben sollte.
"Leere Hände" war der Titel des zweiten Albums, das
1970 erschien. Ihr Ziel war es, die Leute in ihrer eigenen Sprache anzusprechen
und so auch zum Zuhören zu animieren. "Ihre Kinder" sangen
von Dingen, von denen nicht jeder hören wollte. Der Song "Südafrika
Apartheid Express zum Beispiel war eine bedrückende Auseinandersetzung
mit dem rassistischen Apartheidregime, Jahre, bevor die Unruhen von
1976 im Township von Soweto die brutale südafrikanische Rassentrennung
weltweit in die Schlagzeilen brachte.
Das nächste Album trug als Titel schlicht die Seriennummer, war
in ein Jeanscover verpackt und erzielt heute unter Sammlern Höchstpreise.
Es war zugleich das stärkste Album der Band, die zu dieser Zeit
in ihrer besten Besetzung spielte. Bei "Ihre Kinder" herrschte
ein ständiges Kommen und Gehen. Gitarrist, Sänger und Komponist
Ernst Schultz, der Schlagzeuger Muck Groh und der Sänger Sonny
Hennig bildeten über Jahre den Kern der Band. Das Jeansalbum bescherte
dem Kuckuck-Label seinen ersten Hit und war zugleich das wütendste
und bissigste Album der Nürnberger.
Franz-Josef Strauß neben Pinochet
In Liedern wie dem Antikriegsstück "Toter Soldat", dem
zornigen Hartrocker "Hexenhammer" oder der schwermütigen
Ballade vom toten Junkie-Mädel "Weißer Schnee, Schwarze
Nacht" fingen sie den westdeutschen Alltag Anfang der Siebziger
ein und schufen so eine Momentaufnahme einer bewegten Zeit, die auch
heute noch anrührt. Neben diesen Songs standen psychedelische Klang-
und Textexkursionen wie "Mantel im Wind" und orientalisch
angehauchte Kompositionen, für die vor allem Ernst Schultz verantwortlich
zeichnete.
Das vierte Album sollte auch schon das letzte sein. "Werdohl",
benannt nach einer grauen Industriestadt in den idyllischen Tälern
des Sauerlandes, ist das musikalisch reifste und am aufwendigsten produzierte
Werk der Nürnberger, die in der Zwischenzeit auch mit Solowerken
für einiges Aufsehen gesorgt hatten. Vor allem Sonny Hennigs Alleingang
"Tränengas" machte Schlagzeilen, weil die Bayerische
Staatskanzlei und der damalige CSU-Ministerpräsident Franz-Josef
Strauß höchstpersönlich dessen Veröffentlichung
mit juristischen Mitteln zu unterbinden suchten. Dem Landesfürsten
war sauer aufgestoßen, dass er auf der Collage auf der Plattenhülle
in Gesellschaft mit dem Papst und prügelnden Polizisten, mit Nixon,
Pinochet und Stalin abgebildet war.
Nach "Werdohl" wurde es ruhig um "Ihre Kinder".
Aber ihr Vorbild hatte bereits Schule gemacht. Udo Lindenberg, der sich
ausdrücklich auf die Nürnberger als Vorbilder beruft, etablierte
endgültig Rock mit deutschen Texten, viele weitere Rockmusiker
und Bands folgten. Woran Jonas Porst übrigens weiter fleißig
mitwirkte. In seinem Tonstudio im fränkischen Hilpoltstein nahmen
etliche spätere Deutschrockhelden ihre ersten Platten auf, darunter
Nena und Extrabreit.
July 8, 2008
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